Erinnerung durch die Blume

Teppich, persisch, mit Blumen und singendem Vogel

(c) Dieter Schütz / pixelio.de

„Wo Dein Teppich ist, da ist Dein Zuhause.“

Persische Weisheit

Der ganze Stolz meiner Großmutter war ein Teppich. Er lag vorne, zu ihren Füßen, am großen Wohnzimmerfenster, wo sie immer, wenn ich sie besuchte, auf ihrem Fauteuil saß.  Während sie ein Buch aus ihrer Bibliothek las oder auch nur still in ihren Garten schaute, wärmte der Teppich sie mit seiner Wolle und seiner Schönheit. Seine Grundfarbe war ein edles, dunkles Altrosa. Geschmückt war er mit zahllosen stilisierten Blumen und Vögeln in blauen, weißen, rosa, braunen und beigen Farben. Zurückhaltend warm und zugleich lebendig war dieser Teppich – wie meine Großmutter.

Er war das Geschenk einer Geschäfts-Delegation aus Persien an meinen Großvater. In den fünfziger Jahren, so kurz nach dem Krieg, eine Preziose, auch wenn Experten ihn heute nur gering schätzen würden. So wurde der Teppich all die Jahre gehegt und gepflegt, regelmäßig in den Hof getragen, auf der Teppichstange abwechselnd von allen Familienmitgliedern bis zur gemeinsamen Erschöpfung geklopft. Diese Teppichklopf-Nachmittage: Sandkasten- und Fang-mich-Spielen und der Kaffee-Zwischendurch für die Erwachsenen und dann, welch ein Genuß, doch auch Kuchen für alle….

Persischer Teppich

(c) Karl-Heinz Liebisch / pixelio.de

Etliche Male mußten wir den Teppich vor gefräßigen deutschen Motten retten, die         – uns Kuchen-Verliebten nicht ganz unähnlich –  in der feuchten Witterung einen regelrechten Heißhunger auf diesen persisch-exotischen Leckerbissen an den Tag legten. Wir Kinder entwickelten im Gegenzug  einen Motten-Jagdinstinkt, wie gute, englische Fuchshunde, etwas, was sich auch im Erwachsenenleben durchaus auszahlt.

Nach so vielen Jahren und Generationen ist der Teppich nun ein wenig gezeichnet von unserer trittfesten Liebe und der innig zubeißenden der Motten. Aber er befindet sich auch heute noch im Besitz meiner Familie. Denn in jeder abgewetzten Stelle, jedem Mottenloch, jedem verblassenden Vogelbild und jeder einzelnen Tulpe seines Blumenmusters birgt er unsere Erinnerungen an meine Großmutter  und über sechzig Jahre Familiengeschichte.

In unseren Augen: Fürwahr, eine Preziose!

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2 Antworten zu Erinnerung durch die Blume

  1. Bart van Meurs schreibt:

    Ich muss denken an die Zeit als ich als Kind mit meinen Eltern in der Türkei lebte. In den Motiven der Teppiche die zuhause lagen sah ich in meiner Fantasie ganze Autobahnen und Städte. Mit meinen matchbox Autos machte ich riesen Fahrten – und das Stundenlang auf zwei Quadrat Meter!

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